Was es alles nicht gebraucht hat – Teil 2: Kein Fifty Weighs of Grey

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Was es alles nicht gebraucht hat – Teil 2: Kein Fifty Weighs of Grey

28. August 2025 Uncategorized 0

Eigentlich kann man es sich denken: Meine bereits in Teil 1 erwähnten Abneigungen gegenüber Planänderungen und Rechtfertigungen gegenüber Dritten bildet keine gesunde Grundlage für die Teilnahme an irgend einem Abnehmprogramm. Das liegt schon daran, dass der innere Nerd in mir Programme debuggen mag, sobald etwas nicht wie geplant funktioniert – und diese Programme funktionieren oft nicht, denn sie sind nicht massenkompatibel. Statt dass sie jedoch einem erzählen: „Du, dann ist das nichts für dich“, heißt es nicht selten: „Dann bist du wohl das Problem, dein Mindset hält dich davon ab“. Soso, mein Mindset also…

Das macht mich skeptisch. Ein gutes Programm ergänzt mich, geht auf mich ein, erkennt was nicht lief, aber verteilt keine Schuld, sondern sucht Anknüpfpunkte. Wenn die Schuld nur bei mir liegt, nie am System, dann halte ich es frei nach Kant: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“. Daher verspüre ich direkt eine natürliche Abneigung. Mehr noch: Ich habe das Gefühl, einer ekludierenden Multilevelmarketing-Gruppe für Kaloriencounter beigetreten zu sein. Es fehlt nur der Gewinnanteil und ich erhalte obendrein ein ganz schlechtes Gewissen. Da stellt sich mir die Frage: Wer braucht das?

Antwort: Ich nicht.

Dieses Eingeständnis ist absolut nachvollziehbar, denn es geht jedem so.  Wer mag schon, sich gegeißelt zu fühlen? Wenn ich die ganze Zeit getadelt werden möchte, während ich ackere, dann hätte ich auf einer spanischen Galeere angeheuert. Zu ominösem Trommeln und Peitschenhieben würde ich rudern und mir gleichzeitig einreden, ich würde mich dadurch besonders motiviert fühlen. Hat schon mal jemand den armen Ruderern erklärt, dass ihr „Mindset“ nicht der richtige Weg ist? Ich kann mir absolut nicht vorstellen, wie Vorwürfe oder Fingerpointing motivierend für jeden sein könnten. Für manche ja, ohne Frage. Ich hätte auch einer dieser Personen sein können!

Ich würde in Lack und Leder auf die Waage steigen und sagen: „Los, bestraft mich, erzählt mir, weiviel ich wiege, wo ich versagt habe. Sag mir, wo überall Kalorien drin waren, du böses Stück!“, während ich mich dabei selbst auspeitsche. Warte, ich habe eine bessere Idee: Ich könnte auf eine ominöse Waage auf einer Bühne treten, während ich alle daran teilhaben lasse, ob ich erfolgreich war oder nicht, nur damit wir dann im Kollektiv darüber reden können, was mir schwer fiel und was nicht. Wichtig ist, dass allen klar wird: Ich bin ein Versager und wir alle in meinem Leben und meiner Seele herumpieksen, warum das so ist. Das schafft dann sowas wie Vertrauen und gleichzeitig kennt jeder meine schlimmsten Geheimnisse. Wenn ich dann wieder versage, wissen wenigstens andere vor mir, warum ich mir die Kekse reingedrückt habe.

„Aber Fortu, man will sich doch nur helfen“.

Ahhh, ich weiß nicht: Der Unterschied zwischen einem Kult und einer Selbsthilfegruppe ist die Empathie und nicht selten ein ausgebildeter Therapeut. Alles Weitere ist grob fahrlässig und führt ggf. zu einer Eigendynamik, die bestenfalls nicht von Dauer ist (wenn man sich, alsbald, von der Gruppe verabschiedet) oder zu selbstzerstörerischem oder selbstsabotierenden Verhaltensmustern, weil man sich nicht primär als Schlüssel zur Lösung, sondern vielmehr als Teil des Problems ansieht. Das kann auf Dauer nicht gut sein.

Es mag Menschen und Gruppen geben, bei denen alles 100%ig funktioniert, ohne Frage. Ich habe auch direkt mehr Vertrauen, wenn ein ausgebildeter Psychologe die Maßnahme begleitet und / oder ein hochempathischer Mensch die Gruppe leitet. Dann können, je nach Mensch, solche Dinge durchaus helfen, ja auch motivierend wirken.

Für mich ist das so oder so nichts. Ich bin kein Fan von Programmen, denn ich bin an Langfristigkeit interessiert und nach einem harten Tag brauche ich Empathie. Ich würde sonst das Gefühl haben, einem ganz dunklen Roman gefangen zu sein…

Willkommen zu meinem eigenen Film. Willkommen zu:

Fifty Weighs of Grey

Montag, 18 Uhr, Fortunato ist schlechtgelaunt. Er sitzt neben anderen schlechtgelaunten Menschen, die er gerade heute nicht kennen mag – was ihm seine Nase anhand des versagenden Deos der übrigen Teilnehmer  in der nicht klimatisierten sommerversiegelten Räumlichkeit bestätigt. Der Tag war schon lang genug, in Gedanken ist er versunken und überlegt sich, voller Gram, wie wohl der nächste Tag werden würde, wenn er nur noch überstehen könnte, was vor ihm liegt – oder vielmehr steht: Weiter vorne ist eine Bühne aufgebaut. Dort steht jemand, verschwommen in Wort und Ton und raunt etwas von Motivation, dem Ich, dem inneren Widerstrand, der Überwindung. Überwindung – was für ein Stichwort. Die kostete es ihm, überhaupt heute hier anzutanzen, an diesem Tag. Als ob das Training nicht schon Pein genug wäre, sitzt er nun in der Selbsthilfegruppe und wenn er einen verstohlenen Blick in das Antlitz der anderen wirft sieht er sich bestätigt: die anderen leiden auch.

„Weiter vorne“ spricht, tönt davon, dass wir alle stolz sein können. Worauf? Dass wir hier sind oder dass wir den Beitrag bezahlen, monatlich, jährlich. Fortunato ist der Sinn der Veranstaltung bewusst: gegenseitige Kontrolle, keine Ausflüchte suchen, sich rechtfertigen. Ja, das macht ihn bestimmt sehr stolz, dass er keine Ausflüchte mehr suchen kann oder muss. Oder darf. Er fragt sich, ob es irgendwann auch Münzen oder Medaillen gibt für Tage ohne Chips und Co. Wie werden sie übergeben? „Hallo Fortunato, du hast es 100 Tage ohne die frittierten Fehler ausgehalten, hier ist deine LowCarb-Medaille, trage sie mit stolz, zusammen mit deinem Halstuch und deinem Gürtel! Gut gemacht, Fortunato… Fortunato… Fortunato“. Er wird aus seinem Traum gerissen: Sein Name hallt nach, er wurde wohl gerufen.

Langsam steht er auf, der Raum mit seinen Stühlen scheint sich unter dem erwartungsvollen Blick der Moderation auf der Bühne zu teilen: Seine Zeit ist gekommen, er muss nach vorn, sich wiegen… „Nun denn“, sagt er sich und steht auf. Langsam geht er nach vorn, lässt sich nichts anmerken. Verstohlen blickt er zur Seite und kann die Gesichter lesen: „Mach’s gut, Junge“, „Wir sind bei dir“, „Wo du hingehst, war ich schon“. Vorne angekommen steigt er auf die Waage, eine Zahl weiter oben zeigt es: Fortunato hat zugenommen. Zu schnell ist die Zahl oben, zu langsam die Rechtfertigung: Muskeltraining, seine Waage zuhause hat ihm das bescheinigt: Weniger Fett, deutlich mehr Muskeln und…. doch es ist zu spät: der Blick ruht schwer: „Wie kommt es?“, „Wo hast du gesündigt?“, „Sprich mit deinen Brüdern und Schwestern, sei ein Teil der Gemeinschaft“: „Nein, wirklich, ich habe mich stoisch am Punkteprogramm gehalten, dessen Algorithmus ihr regelmäßig knackt, weil ihr auf diese Weise euer Monatsabo rechtfertigen wollt. Ich weiß, dass das eine 0 Punkte hat, das andere 20, wiederum anderes 5 1/2, Fettfaustformeln für den Alltag um bewusster zu essen und weniger bewusst zu rechnen!“. Kennt er, macht er!

Doch es ist zu spät: Das Thema ist durch, Fortunato ist durch. Er erklärt sich, aber es wirkt wie Ausflüchte. In der Menge kann er verschwommen eine Mischung aus Mitleid und Melancholie feststellen: Widerstand ist zwecklos, du musst akzeptieren, dich brechen lassen. Es gibt nur das Idealgewicht der Gruppe und es lastet schwer auf deinem Haupt, für Solisten ist hier kein Raum, Fortunato sollte es besser wissen. Im Kreis der Vorwürfe wird er gebrochen um neu aufgebaut zu werden. „Der einzige Weg hier raus ist, indem du Teile von dir verlierst – dein Gewicht können sie dir nehmen, nicht deinen Geist!“. Insgeheim plant er schon seinen Ausbruch, aber er lässt sich nichts anmerken. Jetzt ist er erst einmal angekommen und versucht sein Bestes

Natürlich muss es nicht so weit kommen, die Realität ist nuanciert und für jeden anders. Fakt ist jedoch, dass kein Ereignis auf eine Leinwand gepinselt wird, die völlig weiß ist. In meinem Fall hätte selbst der talentierteste Maler bei solch einer Motivwahl seine Probleme, womit hinlänglich geklärt sein dürfte, dass ich für diese regelmäßige Rechtfertigungs-Rochaden nicht gemacht bin, weshalb ich auch nicht gewillt bin, dafür regelmäßig Geld zu bezahlen.

Nein, danke. Irgendwie motiviert mich das nicht, noch verspüre ich sonst ein positives Gefühl. Für mich ist dieser Roman keine Option, eher etwas für Menschen, die gesteigerte Lust dabei empfinden, sich im Kollektiv fertigmachen zu lassen, von Menschen, die vielleicht Ähnliches erlebt, aber nicht über das notwendige Fingerspitzengefühl verfügen. All das flankiert von anderen, die mich noch weniger kennen und am besten auch gar nicht kennenlernen sollten. Ich kenne mich, das reicht mir und wer das anders sieht, dem steht es frei, sich selbst eine Strategie bereit zu legen – meine ist es nicht.

Kein Fifty Weighs of Grey für mich.

 

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